Die Fundamentalanalyse
Die Fundamentalanalyse ist ein Teilbereich der analytischen Betrachtung von Wertpapieren. Der andere große Bereich ist die Technische Analyse. Zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen bestehen bestimmte Gegensätze, obwohl große Trader und Investoren grundsätzlich beide Bereiche zur Bewertung heranziehen. Die Gegensätze dürfen nicht ausgeblendet werden, im besten Fall stellt der resultierende Kompromiss zwischen beiden Betrachtungen die beste Entscheidungsgrundlage für das Handeln dar. Rein technisch orientierte Trader sollten wissen, dass die gegenwärtig erfolgreichsten lebenden Investoren - Warren Buffett und George Soros - vorrangig die Fundamentalanalyse nutzen.
Warum ist die Fundamentalanalyse wichtig?
Für Laien und für fundamentalanalytisch orientierte Investoren stellt sich diese Frage scheinbar gar nicht, doch hier ist wiederum wichtig zu wissen, dass es technische orientierte Trader im Daytradingbereich gibt, die praktisch keine Fundamentalanalyse nutzen. Diese fußt immerhin nicht nur auf Kennzahlen von Unternehmen und Marktereignissen, sondern auch auf Ad-hoc-Meldungen, die Kurssprünge verursachen können und jede vorherige Technische Analyse obsolet machen. Das geschieht beispielsweise nach Meldungen der EZB oder des Offenmarktausschusses der FED über Veränderungen im Leitzins. Rein technisch handelnde Trader wissen das zwar, möglicherweise haben sie sogar Kaufstopps in der Erwartung von Kurssprüngen platziert. In vielen anderen Fällen sind ihnen aber diese Nachrichten beziehungsweise das Datum und die Uhrzeit gar nicht bekannt. Sie werden dann von den Kurssprüngen überrascht, verlassen sich aber darauf, mit technischem Trading darauf reagieren zu können. Den zugrunde liegenden Standpunkt beschrieb der (sehr erfolgreiche) Charttechniker Joe Ross einmal so: Er könne die Fundamentalanalyse nicht einsetzen, weil ihm die Zeit und die Ressourcen fehlen, alle Nachrichten zu verarbeiten. Zudem gehe er davon aus, dass relevante Nachrichten ohnehin im Kurs eingepreist sind, weil die Summe aller Marktteilnehmer die Summe aller Nachrichten und der gesamten Fundamentalanalyse adäquat verarbeitet. Dieser Standpunkt ist heftig umstritten. Vorbildliche, sich auf wenige Werte beschränkende Trader gehen auch im Daytradingbereich anders vor: Sie verfolgen fundamentale Nachrichten, so gut es geht. Moderne Softwareprogramme blenden permanent Ad-hoc-News ein, der Trader hat sich zudem auf seinen Handelstag gut vorbereitet und weiß daher, wann welche wichtigen Ereignisse zu erwarten sind. Grundsätzlich ist anzumerken, dass es durchaus gute Gründe gibt, warum ein Wertpapier steigt oder fällt. Diese Gründe sind mithilfe der Fundamentalanalyse zu ermitteln, wenngleich sich die Antworten nicht immer leicht und lehrbuchmäßig erschließen. Crashs und Blasen gehören in diesem Sinne auch zur Fundamentalanalyse, wenn diese das psychologische Verhalten von Marktteilnehmern mit einbezieht - und das sollte sie unbedingt tun.
Wozu dient die Fundamentalanalyse eigentlich?
Ein bemerkenswerter Standpunkt zur Fundamentalanalyse lässt sich so beschreiben: Diese dient den Investoren für die Gegenüberstellung des Börsenkurses einer Aktie zu ihrem immanenten Wert. Diese Auffassung unterstellt das Gegenteil dessen, was Joe Ross behauptet, nämlich das der Börsenkurs gerade nicht fair sei und gerade nicht alle Informationen einpreise, die doch eigentlich durch das Handeln unterschiedlichster Marktteilnehmer einfließen müssten. Wiederum darf das Handeln von Warren Buffett und George Soros analysiert werden, die beide auf recht unterschiedlichen Wegen diese Auffassung zur Fundamentalanalyse bestätigen:
- Warren Buffett (*1930) postulierte schon vor Jahrzehnten, dass er per se unterbewertete Aktien kaufe, von denen er sich vorstellen könne, sie lebenslänglich zu halten. Das unterstellt, dass der Kurs der Aktien unter ihrem Wert - der durch die Unternehmenstätigkeit bestimmt wird - liegt.
- George Soros (*1930), der eine philosophische Ausbildung bei Karl Popper genoss, hebt seine Fundamentalanalyse auf gesellschaftsphilosophische Höhen. In seiner Theorie zur Reflexivität der Märkte unterstellt er, dass es ein Grundgesetz sei, dass Wertpapiere an der Börse falsch bewertet seinen. Die Reflexivität drückt sich laut Soros darin aus, dass Märkte inklusive aller der sie beeinflussenden Beteiligten - hier hat Soros vor allem die Politik im Auge - immer nur auf Ereignisse reagieren, diese reflektieren, auch wenn sie im Nachhinein scheinbar gute Gründe für die Börsenkurse finden. Dabei beeinflusst das Handeln der Menschen wiederum die Märkte. Fundamentalanalyse müsse laut Soros diesen Zusammenhang inklusive der Zeitverschiebungen zwischen fundamentalen Ereignissen und Börsenkurs aufdecken (vergleiche George Soros: "The Alchemie of Finance", Simon & Schuster, 1987).
- Den Versuch einer rein technisch-analytischen Marktanalyse unternahm der Mathematiker Benoît Mandelbrot (1924 - 2010) in seinem 2005 erschienenen Werk "Fraktale und Finanzen" (deutsche Ausgabe bei Piper) auf einer sehr hohen mathematischen Ebene. Er konstatierte, dass reine Technische Analyse nicht zum gewünschten Ergebnis führe - die Märkte lassen sich so nicht erklären.
Im Nachhinein betrachtet erscheinen die postulierten Auffassungen zur Fundamentalanalyse sogar sehr logisch, wenn man eine sehr simple philosophische Ebene einsetzt: Wenn Wertpapiere ständig gekauft und verkauft werden, muss es hierfür fundamentale Gründe geben. Wäre ihr tatsächlicher Wert exakt eingepreist, gäbe es für die Halter keinen Grund, sie zu verkaufen. Zwar würden Investoren sie möglicherweise gern kaufen, aber nur zu einem angemessenen Preis, zu welchem sie die Halter nicht abgeben - die Börse käme zum Stillstand. Genau das aber passiert niemals.
Leistungen der Fundamentalanalyse
Die Fundamentalanalyse muss Bewertungen auf mehreren Ebenen vornehmen. Sie untersucht globale ökonomische und politische Gegebenheiten der Märkte und die Kennzahlen einzelner Assets und Assetklassen. Die Bewertungen von Aktien sind allgemein geläufig, adäquate Kennzahlen nutzt die Fundamentalanalyse auch für Rohstoffe, Währungen und Indizes. Volkswirtschaftliche Kennzahlen wie die Konjunkturdaten, Zahlen zum Arbeitsmarkt, aber auch Einkaufsmanagerindizes und einige solcher Daten mehr gehören zur Fundamentalanalyse ebenso wie konkrete Kennzahlen von Unternehmen und nicht zuletzt politische Ereignisse - Konflikte, Handelsabkommen, Gesetzesvorlagen und Wirtschaftskonferenzen inklusive der bekannten Auffassungen der Akteure. Auf Letzteres stützt sich George Soros sehr stark, während der vorrangige Aktieninvestor Warren Buffett die Unternehmenskennzahlen einer sehr genauen Fundamentalanalyse unterzieht. Nach erfolgter Fundamentalanalyse ist es theoretisch möglich, eine Aktie fair, aber subjektiv zu bewerten. Dieser Standpunkt unterstellt, dass auch die Fundamentalanalyse niemals alle Kennzahlen kennt und auch die bekannten nur unzulänglich bewertet. Dass sie nicht alles kennt, spiegelt sich in wichtigen Gesetzen wider, vorrangig im strafbewehrten Verbot des Insiderhandels. Die Erkenntnisse der Fundamentalanalyse können dem Kurs konträr gegenüberstehen, denn dieser wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Die hieraus resultierenden Divergenzen nutzen clevere Investoren, um unterbewertete Aktien zu kaufen. In den 2000er Jahren hat die Fundamentalanalyse wieder an Bedeutung gewonnen, nachdem die 1980er und 1990er Jahre der Technischen Analyse gehört hatten.
Stufen und wichtige Kennzahlen der Fundamentalanalyse
Die im folgenden vorgestellten Stufen und Kennzahlen werden unterschiedlich bewertet. Sie tauchen zwar in jeder Fundamentalanalyse auf, doch Investoren und Analysten messen ihnen unterschiedliche Bedeutung zu:
- Globalanalyse: Diese erste Stufe der Fundamentalanalyse untersucht die globale Konjunkturlage, wobei "global" sich auch auf ein Territorium (ein Land, einen Wirtschaftsraum) beziehen kann. Kennzahlen sind das Zinsniveau, die umlaufenden Geldmenge, die Wechselkursentwicklungen, das Inflationsniveau und die Rohstoffpreise.
- Branchenanalyse: Das Branchenumfeld vorrangig von Aktien oder auch von Rohstoffklassen wird einer Fundamentalanalyse unterworfen. Beim Goldpreis beispielsweise spielt die mögliche Exploration in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Rolle.
- Unternehmensanalyse: Hier untersucht die Fundamentalanalyse die Daten des einzelnen Unternehmens, wenn es um Aktien geht. Eine Unternehmensanalyse teilt sich in einen qualitativen Aspekt (beispielsweise die Qualität des Managements) und die rein quantitative Betrachtung bestimmter Unternehmenskennzahlen.
Die Kennzahlen der quantitativen Unternehmensanalyse sind diejenigen, die am häufigsten im Zusammenhang mit der Fundamentalanalyse zitiert werden. Jeder kennt sie, doch es bleibt anzumerken, dass sie beileibe nicht die einzige Basis für eine solide Fundamentalanalyse darstellen, wie hoffentlich aufgezeigt werden konnte. Es handelt sich hierbei um:
- KGV - Kurs-Gewinn-Verhältnis
- KCV - Kurs-Cashflow-Verhältnis
- KUV - Kurs-Umsatz-Verhältnis
- KBV - Kurs-Buchwert-Verhältnis
- Dividenden- und Gewinndiskontierung
- Dividendenrendite
- EVA-Konzept
- Discounted Cash Flow-Verfahren